Fotos © Lea Dietrich

 

Ein Stück von Sophie Diesselhorst und Anis Hamdoun (Uraufführung)

„Wir wollen, nein wir MÜSSEN mit unserer Kunst den herrschenden Verhältnissen gefährlich werden!“ sagt Theater-Intendant Gerhard Grünjäger und stellt in diesem Zusammenhang der Presse zwei frisch engagierte Künstler*innen aus Syrien vor. Im Vordergrund, wenngleich es „spannend“ ist, steht natürlich nicht deren Erfahrung als Theatermacher*innen – und wer weiß auch schon, was das im arabischen Raum tatsächlich bedeutet? - sondern vielmehr, dass sie Geflüchtete sind. Das muss man auch verstehen, in diesen bewegten Zeiten, so kurz vor der Wahl. Der Intendant fühlt sich am Puls der Zeit. Die gelernte Regisseurin Sahar soll nun, Order des Chefs, Brechts Galilei auf die Bühne bringen. Immerhin darf sie eine eigene Fassung vorlegen. Mustafa wiederum wurde als Schauspieler eingekauft. Für 500 Euro geradezu ein Schnäppchen! Aber Sahar muss den Brecht nicht nur mit einem Schauspieler inszenieren, oh nein, sie bekommt als zweite Spielerin die privat allerdings etwas gestresste Astrid dazu. Das wars dann aber auch. Astrid gehört schon lange zum Ensemble des von außen besehen kleinen, von innen betrachtet weltbewegenden Stadttheaters. Sie ist alleinerziehende Mutter und allem Neuen gegenüber aber eigentlich aufgeschlossen. So richtig Ahnung hat sie allerdings nicht, „was so die Zusammenhänge betrifft“.

Während die Proben beginnen und Sahar versucht, ihren Galilei (bei ihr genannt Galixeo) als Dystopie im Stil eines Science Fiction im fehlgeleiteten buddhistischen Reich Deutschmania zu etablieren (und dieses verwegene Konzept an die zweifelnde Astrid zu bringen), stehen in Real-Deutschland die Zeichen auf Umbruch. Das beunruhigt natürlich die Theaterszene, die einen Sieg der AFD herannahen fühlt. Auch Gerhard Grünjäger ist besessen von den Umfragewerten und verkündet sie stündlich und dabei die Proben seiner „syrischen Freunde“ störend wie ein masochistisches Mantra. Während jedenfalls Mustafa schnell Gerhards bester Freund wird und ein Auge auf Astrid wirft, bleibt Sahar zunächst isoliert und verbringt ihre freie Zeit ausschließlich mit Skype-Telefonaten nach Syrien zu ihrem Mann. Dann wird das Unerträgliche wahr, die AFD wird regierungsfähig und Sahars Inszenierung, die Aufenthaltsgenehmigungen, der Job des Intendanten, das Theater selbst sind in Gefahr. Der Theaterleiter besinnt sich auf seine Tugenden als Regisseur und trifft eine Entscheidung....

 

Premiere: 30.09.2017, 19.30 Uhr im Theater im ehemaligen IWF

Ensemble: Imme Beccard, Ahmad Kiki, Hendrik Massute, Roula Thoubian
Inszenierung: Nina de la Chevallerie
Text: Sophie Diesselhorst, Anis Hamdoun
Musik/Sound: Reimar de la Chevallerie
Bühnenbild: Lea Dietrich
Dramaturgie: Nicola Bongard
Regieassistenz: Laura Albrecht

Gefördert von: Niedersächsiches Ministerum für Wissenschaft und Kultur, Stiftung Niedersachsen, Fonds Darstellender Künste, Lotto Sport Stiftung, Stadt Göttingen, EBR Projektentwicklung  

Altersempfehlung: ab ca. 16 Jahre

 

Die AutorInnen

Sophie Diesselhorst wurde in Berlin geboren und hat in London und Berlin Philosophie und Journalismus studiert. Seit 2007 arbeitet sie von Berlin aus als freie Autorin und Journalistin und ist Teil des Künstlerinnen-Kollektivs Jens-Horst Olé und seit 2011 Redakteurin beim Online- Theaterfeuilleton nachtkritik.de. Von Sophie Diesselhorst stammt die Uraufführung HILFE!, die am 24.9.2016 Premiere mit dem boat people projekt in Göttingen hatte, Regie führte ebenfalls Nina de la Chevallerie.
 

Anis Hamodun wurde in Homs, Syrien, geboren. Er studierte Chemie und verbrachte viel Zeit im Theater, wo sein Großvater Farhan Bulbul, syrischer Theatermacher, ihn unterrichtete. Später wurde er dessen Regieassistent und unterrichtete Theater und Englisch an Privatschulen. Im Zuge der Arabischen Revolution und als Auftakt einer kulturellen Bewegung der Revolution realisierte er 2011 ein eigenes Theaterprojekt. Bei einem Bombenangriff wurde Anis Hamdoun schwer verletzt. 2012 musste er Syrien verlassen, über Ägypten kam er Ende 2013 nach Deutschland. Für die englische Theatergruppe „The Ostensibles“ inszenierte er am Stadttheater Osnabrück zwei Stücke, für das 6. Spieltriebe-Festival das selbstgeschriebene Stück The Trip, das seine Erfahrungen als Grenzgänger zwischen Syrien und Deutschland beschreibt. Im Herbst 2016 schrieb und inszenierte er eine Version des Odysseus für Kinder und Jugendliche am Stadttheater Kiel. Im April 2017 hatte die Uraufführung seines Stückes DIE UNBEKANNTE STADT Premiere am Stadttheater in Osnabrück.